Umgang mit Pflichtgefühl, Schuld & Erwartungen
... Ahhhhh… der Muttertag naht!
Schon das obligatorische Sträußchen im Kopf oder eher ein flaues Gefühl in der Magengrube?
Für dich eher Pflicht als Kür? Dann bist du hier goldrichtig.
Dieser Artikel ist dein ehrlicher, vielleicht unbequemer, aber hoffentlich befreiender Begleiter durch den Muttertags-Dschungel für erwachsene Kinder.
Du bist hier genau richtig, wenn du die Nase voll hast von Schuldgefühlen (weil „sie doch so viel für dich getan hat“.), Verpflichtungen weil („man das halt so macht“) und dem Gefühl, es nie richtig machen zu können.
Was erwartet dich in diesem Artikel:
- Schluss mit Nett: Warum dein schlechtes Gewissen dich im Stich lässt (und du es trotzdem festhältst)
- Die unsichtbare Last: Warum die Beziehung zu Eltern als Erwachsener oft kompliziert ist
- Deine Vorstelungen, deine Regeln
Bereit, dem schlechten Gewissen und dem (gesellschaftlichen) Erwartungsdruck den Mittelfinger zu zeigen (oder zumindest freundlich zuzunicken und dann deinen eigenen Weg zu gehen)?
Los geht's!
Schluss mit Nett: Warum dein schlechtes Gewissen dich im Stich lässt (und du es trotzdem festhältst)
So, jetzt mal Butter bei die Fische.
Für viele erwachsene Kinder ist der Muttertag, und bereits die Tage/Wochen davor, ein Tag der inneren Zerrissenheit (vgl. Rook & Charles, 2017).
Und das liegt nicht zwangsläufig daran, dass das Verhältnis zur Mutter „schlecht“ ist.
Nee, gar nicht.
Sondern wir haben vielleicht einfach angefangen, Dinge zu hinterfragen.
Wieso dieser Tag?
Weshalb muss ich ausgerechnet an diesem kommerzialisierten Sonntag meine Wertschätzung zeigen?
Warum löst es eigentlich mehr Stress als Freude bei mir aus?
Du nickst vielleicht - Erkennst dich wieder.
Vielleicht hast du ja auch schon mal darüber nachgedacht, den Muttertag einfach als normalen Sonntag zu behandeln.
Aber dann kommt sie. Diese innere, fiese kleine Stimme.
Btw: Bei mir hatte diese Stimme sogar eine kleine fiese Monsterchengestalt 😁 Mittlerweile finde ich sie süß!
Dieses über Jahre antrainierte schlechte Gewissen (Tangney & Dearing, 2002).
Ich höre dich förmlich denken:
- "Ja, aber bei meiner Mutter ist das anders. Die würde das NIE verstehen. Die wäre todtraurig!"
- "Ach komm, der eine Anruf am Muttertag, die paar Blümchen – das bringt mich nicht um. Ist doch einfacher, als wochenlang schlechte Stimmung oder Vorwürfe zu ertragen."
- "Ich kann doch nicht einfach 'Nein' sagen! Sie hat so viel für mich getan. Das wäre total undankbar und egoistisch!"
Klingelt's?
Willkommen im Club der netten, angepassten erwachsenen Kinder, gefangen in der Endlosschleife der Schuldgefühle.

Die Komfortzone der Schuld: Warum Festhalten einfacher scheint
Lass mich ehrlich sein:
Dieses schlechte Gewissen, dieses Gefühl, es der Mutter "schuldig" zu sein – das ist bekanntes Terrain.
Es ist vielleicht unangenehm wie so ein kratziger Wollpulli, den man nicht mehr anzieht, der aber trotzdem immer noch in deinem Schrank hängt.
Du weißt, wie es sich anfühlt.
Du kennst die Regeln dieses unausgesprochenen Spiels.
Und ja, manchmal ist es kurzfristig WIRKLICH einfacher (vgl. Baumeister, Stillwell & Heatherton, 1994).
Augen zu und durch!
Schnell anrufen, Blümchen verschicken, Haken dran, Frieden.
Aber – und das ist der Knackpunkt, den wir oft übersehen:
Was kostet dich dieser "Frieden"?
Ich sag's dir knallhart:
Es ist nicht der Preis des überteuerten Blumenstraußes (der übrigens am Muttertag teurer ist als sonst, trotz gleicher Blumen – wtf?!)
Der Preis ist deine Authentizität, denn Du spielst eine Rolle.
Dieser vermeintliche Frieden füttert dieses unterschwellige Gefühl von Frust, das sich dann vielleicht an anderer Stelle entlädt – beim Partner, im Job, beim nächsten Treffen mit deiner Mutter, in dir selbst.
Dieser vermeintliche Frieden hält dich davon ab, wirklich einmal Entscheidungen nach deinem Wohlbefinden zu fällen.
"Aber dann verletze ich sie doch!" höre ich dich einwenden.
Ja, das kann passieren.
Ich lass es dich nochmal lesen: Ja, das kann passieren!
Raus aus der Opferrolle: Wer hat hier eigentlich die Verantwortung?
Sehen wir der Tatsache doch mal ins Auge und spulen kurz zurück.
Gedanke: "Sie hat so viel für mich getan."
Ja, hat sie vielleicht.
Hat Ihre Aufgabe als Mutter erfüllt.
Und … zack
Genau hier schnappt die Falle zu.
Dieser Gedanke impliziert nämlich eine lebenslange Bringschuld deinerseits.
Ein emotionales Abo, das du nie bewusst abgeschlossen hast, aber fleißig weiterbezahlst.
Btw: Wahrscheinlich will das deine Mutter nicht mal bewusst bei dir auslösen.
Falls du es dich selbst noch nicht gefragt hast: Möchtest du das denn so?
Denn Fakt ist: Das ist doch völlig sinnfrei.
Du bist erwachsen.
Du bist verantwortlich für dich, deine Gefühle, deine Entscheidungen.
Und (jetzt kommt's ganz dicke):
Du bist NICHT verantwortlich für die Gefühle und das Wohlbefinden deiner Mutter.
Weißt du eigentlich alles schon, gell?
Die unsichtbare Last: Warum die Beziehung zu Eltern als Erwachsener oft kompliziert ist
Dann frag ich dich: Warum kratzt dieser Tag dann trotzdem so an deinem Hals?
Bekommst du am Hals vom Pullikragen vielleicht sogar Ausschlag?
Woher kommen die Schuldgefühle?
Ich behaupte mal: Ich hab da eine Ahnung.
Als Kind war die Welt oft klarer, die Rollen verteilt.
Im Kindergarten oder in der Schule wurden Kreativprojekte für Mama gebastelt – ihre Freude stand im Mittelpunkt, und unsere Welt drehte sich oft um die elterliche Gunst.
Das war „normal“ und „altersgerecht“.
Aber als Erwachsene stehen wir plötzlich selbst fest im Leben.
Wir haben eigene Wohnungen/Häuser, Jobs, vielleicht eine Familie gegründet.
Wir haben Lebenserfahrungen gesammelt, Enttäuschungen erlebt, Erfolge gefeiert.
Wir haben eigene Werte entwickelt, eigene Bedürfnisse erkannt und ja, auch unsere Sicht auf die eigene Geschichte und die unserer Eltern hat sich verändert.
Und genau hier fängt es oft an zu knirschen.
Einerseits ist da vielleicht Liebe, echte Dankbarkeit für das, was war, für die Unterstützung, die wir erfahren haben.
Andererseits spüren wir vielleicht auch Wut, Enttäuschung oder einfach nur eine wachsende Distanz – weil etwas nicht (mehr) passt.
Weil unsere Lebensentwürfe kollidieren, weil alte Verletzungen nie wirklich geheilt sind, oder weil wir merken, dass die Beziehung uns mehr Energie raubt, als sie uns gibt (Luescher & Pillemer, 1998).
Dazu kommen die gesellschaftlichen Erwartungen, die uns einflüstern, wie ein "gutes" Kind zu sein hat – pflichtbewusst, dankbar, immer verfügbar.
Das Bild der stets harmonischen Familie, das uns gerade rund um Feiertage, wie den Muttertag, medial aufgedrängt wird, setzt uns zusätzlich unter Druck.
Und dann kommt da noch das Mitgefühl.
Oder ist es Mitleid?

Die emotionale Zwickmühle: Warum 'Grenzen setzen' so schwerfällt
Genau hier entsteht oft die emotionale Zwickmühle, die den Umgang mit dem Muttertag (und vielen anderen Situationen) zur Herausforderung macht.
Du willst vielleicht einfach nur selbst entscheiden, wie, wann und ob du deine Zuneigung zeigst – oder eben auch mal nicht, wenn es sich für dich nicht stimmig anfühlt.
Das Problem: Dieses legitime Bedürfnis nach Grenzen setzen kollidiert oft frontal mit den (manchmal unausgesprochenen, manchmal ganz offen formulierten) Erwartungen der Mutter oder dem alten Familien-Skript (Cloud & Townsend, 2017).
Jeder Versuch, einen eigenen Weg zu gehen, kann sich dann wie Verrat anfühlen.
Und genau weil diese Gefühle so komplex, verwirrend und oft widersprüchlich sind – diese Mischung aus Liebe, Beziehung, Pflicht, Schuld, Ärger und dem Wunsch nach Freiheit –, ist es so wichtig, genauer hinzuschauen.
Woher kommt dein persönliches Unbehagen?
Dieses Verstehen ist der absolut notwendige erste Schritt.
Genau hier bist du nämlich jetzt an einem entscheidenden Punkt.
Dieses neue Verständnis, auch wenn es vielleicht schmerzhaft war, sich diesen Dingen zu stellen, ist dein mächtigstes Werkzeug.
Dieser Kompass gibt dir Orientierung.
Aber das Erkennen allein ist nur die halbe Miete.
Es ist wie die Diagnose beim Arzt – wichtig, aber heilt noch nicht.
Deine Vorstellungen, deine Regeln
Vielleicht hast du dich jetzt ein paar Mal wiedererkannt.
Vielleicht bist du auch ein klein wenig aufgewühlt.
Das ist gut so.
Denn die eigentliche Frage, die jetzt im Raum steht, ist:
Was machst du jetzt damit?
Der entscheidende Schritt: Vom „Müssen“ zum „Wollen“ (oder bewusst „Nicht-Wollen“)
Wie kommst du von "Warum fühlt es sich so an?" zu "Wie möchte ich es haben?" ?
Die schlechte Nachricht ist: Es gibt keine magische Pille.
Die fantastische Nachricht ist: Du kannst deine Reaktion, deine Haltung und deine Entscheidungen ändern.
Der Kompass liegt nämlich in deiner Hand.
Und glaub mir: Du hast mehr Einfluss auf dein Wohlbefinden, als du vielleicht gerade glaubst.
Das bedeutet, dass du die Beziehung zu deiner Mutter neu definieren darfst.
Bekommst du Schnappatmung bei dem Gedanken?
Verständlich!
Ging mir damals auch so.
Glücklicherweise hatte ich jemanden, der mich gefragt hat:
„Sabrina, was ist aus deiner Sicht denn langfristig anstrengender:
- Die ständige Anspannung und das Verbiegen, um einen vermeintlichen Frieden zu wahren?
ODER
- Der Mut, für dich und deine Vorstellungen einzustehen, auch wenn es kurz ruckelt?“
Ich war da ehrlicherweise ziemlich radikal zu mir selbst.
Ich möchte meine Mutter anrufen, weil es mir wirklich ein Bedürfnis ist – nicht, weil man es halt so macht.

Muttertag neu denken
Der Muttertag muss kein Tag des Pflichtgefühls sein.
Als erwachsene Person kannst du den Tag neu denken.
So wie ich vor einigen Jahren.
Für mich ist der Muttertag ein Tag wie jeder andere Tag auch.
Es gibt keinen extra Anruf, keine Blumen, keine Geschenke – nicht mal eine spezielle Muttertags-Whatsapp-Nachricht.
Denn die Beziehung zu meiner Mutter habe ich gelernt täglich zu zeigen und zu leben.
Wenn ich ihr einen Gefallen tun möchte, kann ich das täglich tun oder nicht.
Durch eine Nachricht, einen Anruf oder ein kleines Geschenk – wann immer es mir beliebt.
Und das ist ein Privileg, was ich vor einiger Zeit verstanden habe.
Und auch du darfst hinterfragen, entscheiden, gestalten (Orloff, 2011).
Vielleicht bedeutet das für dich, den Tag ganz kommerziell, aber mit einer neuen inneren Haltung zu feiern.
Vielleicht bedeutet es einen kurzen Anruf zu tätigen statt eines gezwungenen Besuchs.
Vielleicht entscheidest du dich, deiner Mutter an einem anderen Tag deine Wertschätzung zu zeigen, wenn es sich für dich stimmiger anfühlt.
Oder vielleicht entscheidest du, den Tag für dich selbst zu nutzen und gut für dich zu sorgen.
Egal, wie dein Weg aussieht: Erlaube dir, ihn zu gehen. Der Muttertag kann ein wundervoller Anstoß sein, damit anzufangen 😊
Wenn du das Gefühl hast, hier auf der Stelle zu treten, dass die Schuldgefühle übermächtig sind oder du einfach nicht weißt, wie du diesen Weg der Veränderung beginnen sollst – dann bist du damit nicht allein.
Falls noch nicht geschehen: Melde dich für meinen Newsletter an! Dort teile ich Strategien und Gedanken, die dir helfen, mehr Klarheit, Authentizität und innere Freiheit in der erwachsenen Beziehung zu deinen Eltern zu finden – nicht nur am Muttertag.
Oder spürst du, dass du tiefer einsteigen und deine individuelle Situation beleuchten möchtest? Oft hilft ein neutraler Blick von außen, um festgefahrene Muster zu erkennen und ganz konkrete, neue Schritte für dich zu entwickeln. Ich biete dir gerne ein kostenloses und unverbindliches Erstgespräch an (ca. 20-30 Minuten). In diesem Gespräch können wir schauen, wo du gerade stehst und ob eine systemische 1:1-Beratung für dich der richtige nächste Schritt sein könnte, um deinen eigenen, authentischen Weg zu finden.
Quellen:
Baumeister, R. F., Stillwell, A. M., & Heatherton, T. F. (1994). Guilt: An interpersonal approach. Psychological Bulletin, 115(2), 243–267. https://doi.org/10.1037/0033-2909.115.2.243
Cloud, H., & Townsend, J. (2017). Boundaries: When to say yes, how to say no to take control of your life. Zondervan. (Originalwerk 1992)
Luescher, K., & Pillemer, K. (1998). Intergenerational ambivalence: A new approach to the study of parent-child relations in later life. Journal of Marriage and Family, 60(2), 413–425. https://doi.org/10.2307/353481
Orloff, J. (2011). Emotional freedom: Liberate yourself from negative emotions and transform your life. Harmony Books.
Rook, K. S., & Charles, S. T. (2017). Close social ties and health in later life: A bittersweetgsm. Current Directions in Psychological Science, 26(3), 261-267. https://doi.org/10.1177/0963721416680494
Tangney, J. P., & Dearing, R. L. (2002). Shame and guilt. The Guilford Press.